Das hier ist keine trockene Betrachtung von Barnards Dunkelnebel-Katalog!

Dieser Artikel ist ein lebendiger, unterhaltsamer, spannender Bericht über das Leben eines faszinierenden Astronomen.
Aber gleichzeitig auch ein Bericht über die Anfänge der Astrofotografie.

Natürlich wird auch der Dunkelnebelkatalog betrachtet und der vollkommen unbekannte fotografische ‘Atlas of the Milky Way’, den Edward Barnard erstellte.

Suchst Du eine trockene Tabelle mit allen rund 300 Barnard-Objekten, so muss ich Dich enttäuschen.
Andererseits möchte ich Dich gerne einladen, in eine spannende Zeit, ein faszinierendes Astronomenleben und die Anfänge der Astrofotografie einzutauchen.

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Ordnung im Objektgewimmel – Die Serie

Dieser Artikel ist Teil einer Artikelserie.
“Ordnung im Objektgewimmel – Deep-Sky-Kataloge: Entstehung und Geschichte”.

Die reinen Kataloge (die in Wahrheit immer nur trockene, unspektakuläre Tabellen sind), findest Du fast überall, beispielsweise bei Wikipedia. In Büchern teilweise auch bebildert und nett beschrieben.

Meine Serie hingegen soll die Kataloge mit Leben erfüllen und die Zeit, in der sie entstanden, greifbar machen.
Diese Artikel beschreiben also auch das Leben der Astronomen, den Fortschritt in Technik und Wissenschaft, aber auch die Epochen, in denen die Deep-Sky-Kataloge entstanden.
So betten sich diese an sich trockenen Listen ein in die jeweilige Zeit und die Geschichte der Astronomie: Sie erhalten Farbe, ein Bild und erwachen zum Leben.

Diese Artikelserie kann man nicht einfach so am Händy überfliegen!
Sie ist wie ein Buch mit vielen Kapiteln.
Willst Du wirklich eintauchen, so nimm Dir einen Laptop oder ein großes Tablet, mach es Dir ohne Stress auf dem Sofa bequem, koch Dir einen Wein oder schenck’ Dir ein Glas guten Tee ein und genieße, das was da kommt…

Was bisher geschah:

In den ersten drei Abschnitten der Serie wurden bisher nur “Gemischtwaren-Kataloge” besprochen; also Zusammenstellungen, die praktisch jede Art von Deep-Sky-Objekten enthalten: Galaxien, Sternhaufen, Nebelgebiete…

Ab hier geht es nun weiter mit Spezialkatalogen:
Dies sind Listen und Verzeichnisse, die sich mit einer ausgewählten Gruppe, einem Typ von Objekten befassen
Es gibt Spezialkataloge zu Sternhaufen, Emissions- oder Reflexionsnebel, Galaxien, planetarische Nebel… Oder eben Dunkelnebeln.

Wie bereits im vorigen Artikel zum NGC erwähnt, ist der New General Katalog zwar bis heute der bekannteste und relevanteste Katalog von Deep-Sky-Objekten.

Aber Nebelgebiete, also mit das Hauptziel vieler Amateur-Astrofotografen, machen nur einen geringen Anteil (~3 %) aus. Spezialkataloge bieten da teils eine deutlich größere und dedizierte Auswahl.
Und Dunkelnebel sucht man im NGC vergeblich.

Für uns Astrofotografen, aber auch für visuelle Beobachter des Sternenhimmels und der Milchstraße, finden sich in vielen dieser Kataloge wahre Schätze, die nicht im Messier-Katalog enthalten sind oder in der Masse der NGC-Objekte schlicht untergehen.

Darum:
Hereinspaziert in die Welt der Spezialkataloge! Willkommen bei “Ordnung im Objektgewimmel Teil 4”!



Übrigens:

Übrigens:
Wenn Du (noch) glaubst, dass Dunkelnebel Dich nicht interessieren und das ganze hier langweilig werden könnte, so möchte ich Dich überzeugen! Bitte lass Dich eines Besseren belehren!
Wenn Du mich auf diese Reise zu den Anfängen der Astrofotografie begleitest, wirst Du feststellen, wie viel wissenswertes und spannendes ich hier zusammengetragen habe. Und der Begriff “Dunkelnebel” wird für Dich in Zukunft mit einer großen Anzahl Assoziationen verknüpft sein.

Übrigens #2:
Falls Du die ganze Geschichte erfahren möchtest, die uns zur heutigen Deep-Sky-Faszination geführt hat, so empfehle ich Dir, meine Artikel chronologisch zu lesen.
Aber Vorsicht: Auch wenn Du es hier im Internet liest; das ist eher ein Buch und Du solltest Interesse und Zeit mitbringen.
Aktuell bin ich aber der Meinung, dass dieser Bericht zu Edward Barnard der beste und lesenswerteste ist. Du bist also vorerst an der richtigen Stelle. 🙂

A – Gemischtwarenkataloge
Teil 1 – Die Anfänge
Teil 2 – Der Messier-Katalog
Teil 3 – Von Herschels Nebel-Listen zum NGC

Zwischenschritt – Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert

B – Spezialkataloge
Teil 4 – Edward Barnard und die Entdeckung dunkler Materiestrukturen

Im weiteren u.a:
Per Collinder & Philibert Melotte – Kataloge von Sternhaufen
Steward Sharpless, Gum und RCW – Kataloge der Emissionsnebel
Van den Berg und der Katalog der Reflexionsnebel
Beverly Lynds und die Kataloge heller und dunkler Nebulae
Planetarische Nebel, Galaxien…

Edward Emerson Barnard

Diese Folge der “Katalogvorstellungen” ist vor allem eine Vorstellung dieses bemerkenswerten Astronomen und Astrofotografen. Sein Dunkelnebel-Katalog gerät dabei fast in den Hintergrund. Aber die Geschichte ist zu spannend, um sie nicht zu erzählen oder noch weiter einzukürzen.

So bekannt der Name Barnard auch sein mag, so stiefmütterlich wird sein Katalog behandelt. Nur wenige der Barnard-Objekte werden regelmäßig gezielt fotografiert; auf Fotos finden sie sich dennoch sehr häufig, quasi als “Beifang”.
Sein spannendes Leben und seine herausragenden Leistungen kennt kaum jemand:
Er erschuf seine ‘eigene’ fotografische Himmelskartografierung bzw. den heute kaum bekannten “Atlas der Milchstraße”. Darüber hinaus gelangen ihm wichtige astronomische Erkenntnisse.

Den ersten Kontakt mit seinem Namen erhalten interessierte Amateure häufig mit dem großen roten Bogen östlich des Orionnebels: Barnards Loop oder eben dem bekannten Objekt seines Katalogs: Barnard 33 – der berühmte “Pferdekopfnebel“.

Doch da ist weitaus mehr…

Zum Aufbau dieses Berichts:

 

1. Das Leben und Wirken Barnards
Kindheit und der erste Blick zu den Sternen
Jugend und Beruf des Photographen
Barnard als Astronom

2. Barnards Astrophotografie

3. Der ‘Atlas Of The Milky Way’

4. Dark Markings Of The Sky – Barnards Dunkelnebel-Katalog
Objekte des Katalogs

5. Barnard als Entdecker

6. Fazit und freundliches Schlusswort

Barnards Katalog der Dunkelnebel (B)

Dark Markings Of The Sky & Atlas Of The Milky Way

Ersteller:Edward Emerson Barnard
Entstehungszeitraum:bis 1922
Veröffentlichung:1919 (182 Einträge)
1927 (349 Einträge)
Objekttypen:Dunkelnebel
Anzahl Einträge:349

Edward Emerson Barnard:
Pionier der Astrofotografie und Ersteller des ersten Dunkelnebel-Katalogs

Barnards Forschungen, seine Begeisterung für die visuelle Astronomie und seine Leidenschaft für die Astrofotografie eignen sich perfekt, um ihn und seinen Katalog an den Beginn der Serie zu Spezialkatalogen zu stellen.
Nicht nur zeitlich, sondern auch technisch fügt sich sein Wirken perfekt in diese Serie ein.

Er war einer der letzten großen visuellen Astronomen des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig war er (einer) der erste(n) Astrofotograf(en), ja praktisch überhaupt der erste “richtige” Widefield-Astrofotograf und wohl auch der erste, der mit fotografischen Mitteln einen umfangreichen gedruckten Himmelsatlas erstellte.
Die 349 dunklen Flecken, die er in seinen Fotografien markierte, sind dabei eher ein Nebenprodukt, wenngleich das heute bekannteste.
Wir nennen sie Barnards Katalog der Dunkelnebel, nach einem 1919 erschienenen Artikel unter dem Namen “The dark markings of the sky”, der die ersten 182 Einträge aufwies.


Dieser Abschnitt wird daher nicht nur den Dunkelnebel-Katalog vorstellen, sondern spannende Einblicke in die Astronomie und die ersten Schritte der Fotografie von vor etwas über 100 Jahren liefern.
Er ist somit auch für jene Leser interessant, denen Dunkelnebel zunächst als eher unspektakulär erscheinen.

Viel Spaß und gute Unterhaltung!

Das Leben und Wirken des Edward Barnard

Um das Handeln, Wirken und die Leistung von Barnard zu verstehen, muss man seinen Werdegang betrachten. Ein Weg, der vor gerade einmal rund 150 Jahren begann und uns deutlich vor Augen führt, wie sehr sich die Welt (und auch die Astronomie) in diesem eigentlich kurzen Zeitraum gewandelt hat:

Kindheit und der Blick zu den Sternen

Geboren wurde Edward Emerson Barnard 1857 im Süden der USA in Nashville/Tennessee. Sein Vater verstarb bereits vor seiner Geburt, was eine Kindheit in starker Armut bedeutete.
Barnard erzählte in späteren Jahren kaum etwas von den Entbehrungen seiner ersten Lebensjahre, die sich offenbar prägend auf ihn ausgewirkt hatten:
Der fehlende Vater, die Armut, eine Cholera-Epidemie und die blutige “Schlacht von Nashville” im amerikanischen Bürgerkrieg, die in der Heimatstadt des damals 7-jährigen tobte und innerhalb von 2 Tagen über 15.000 Tote forderte, hinterließen Narben in der Seele des jungen Edward.
Seine Mutter, eine kultivierte Frau, schenkte dem Jungen nicht nur ihre Zuneigung, sondern legte mit die Grundzüge eines Charakters, der später als höflich, kultiviert und menschenfreundlich beschrieben wurde. Die Armut ließ sie ihre Verbundenheit mit Literatur und Kultur nicht vergessen, welche sie auch in dieser Situation ihrem Sohn zu vermitteln suchte.
Sein zweiter Vorname Emerson, gewählt nach dem amerikanischen Philosophen und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson, gibt Zeugnis davon.

Der kindliche Blick zu den Sternen legte den Grundstein für einen großen Astronomen

Wovon Barnard hingegen gerne berichtete, waren seine ersten Erinnerungen an den Sternenhimmel. Sie beschreiben auf eine gewisse Weise fast poetisch den Zauber der nächtlichen Himmelsbeobachtung und sind gewiss für einige von Euch nachvollziehbar, sodass ich sie gerne zitieren möchte:

“Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind draußen unter dem Himmel lag, flach auf dem Rücken, in diesen angenehmen Sommernächten und die Sterne beobachtete.
Bald kannte ich den Himmel gut, während die Jahreszeiten kamen und gingen. Wenn sie wieder kamen, konnte ich erneut verschiedene Gruppen hellerer Sterne erkennen, wobei ihre Namen und ihre wahre Beschaffenheit mir unbekannt waren. Ich erkannte bald, dass einige wenige Sterne ihren Platz zwischen den anderen wechselten, aber ich wusste nicht, dass es sich um Planeten handelte.
Es gab niemanden, der mir hätte sagen können, was ich da sah.
[…]
Irgendwann kannte ich die Sterne so gut, dass, wenn die Jahreszeiten voranschritten und sie langsam in Richtung der Sonne aus meinem Blick schwanden, ich sie vermisste; ganz so, wie man einen guten Freund vermisst.
Und wenn sie dann endlich wieder auftauchten, begrüßte ich sie wie einen Freund, der mehrere Monate fort gewesen war.
So war mein kindliches Interesse an den Sternen, auch wenn es kein intellektuelles war, dennoch für mich sehr angenehm und half mir, die Traurigkeit meiner Kindheit abzumildern.”

[Eigene, freie Übersetzung]

Noch heute – 150 Jahre später – können wir die Erlebnisse des jungen Edward nachfühlen: Genau wie er, können wir in lauen Sommernächten auf dem Rücken liegen, in den Zauber der Sternennacht eintauchen und zwischen den endlosen Sternen mit den Augen spazieren gehen. Wir können uns treiben lassen zwischen dichten Sternwolken und fast sternfreien Dunkelnebeln, können die Struktur der Milchstraße visuell abtasten und können uns und unseren Alltag vergessen, während wir geborgen unter dem Firmament liegen.
Und auch heute begrüßen wir im beginnenden Herbst Orion, der nach dem Sommer erstmals wieder auftaucht, wie einen guten alten Freund.

Jugend und der Beruf des Fotografen

Um der Armut zu entkommen, sah sich der junge Edward bereits als 9-jähriger gezwungen, eine Arbeit zu suchen, sodass ihm eine Schulbildung fast vollkommen verwehrt blieb. Mit Fleiß und Eigeninitiative erlernte er dennoch das Lesen und Schreiben von seiner Mutter.

Arbeit statt Schule – eine Kindheit nach dem Bürgerkrieg

Er begann als Assistent bei einem Fotografen und behielt diese Stelle für die folgenden 17 Jahre.
Anfangs nur als Laufbursche beschäftigt, entwickelte er sich über die Jahre zu einem fähigen Portrait-Fotografen. Er erlernte sämtliche fotografische Techniken und eignete sich ein großes Wissen rund um optische Prozesse, Linsen, die Behandlung der fotografischen Platten und die Wirkung von Licht an. Auch das Zeichnen und Erstellen von Logos und Schildern sowie die Kunst des Drucks gehörten zu seinen Aufgaben. Alles Fähigkeiten, die ihm später zugutekommen sollten.

Sein weiterhin vorhandenes Interesse für den Sternenhimmel und einige glückliche Zufälle und Begebenheiten ermöglichten es ihm, sich während dieser Zeit nach und nach tiefergehend mit der Astronomie zu beschäftigen.

Der erste kurze Blick auf wissenschaftliche Astronomie

Folgenden Zufall erwähnte er als einen der wegweisenden:
Als Pfand für verliehene 2 Dollar erhielt er ein Buch, welches sich als astronomisches Werk entpuppte und ihm erstmals Sternnamen, Ordnung und Struktur am Himmel zeigte, also einen intellektuellen Zugang zur Astronomie ermöglichte.
Er beschrieb es als einen glücklichen Zufall:

“Eigentlich wollte ich diesen Schnorrer, einen Stadtbekannten Halunken, der immer wieder zu mir kam und mich anbettelte, nur loswerden.
Also gab ich ihm diese zwei Dollar in dem Wissen, sie nie wiederzusehen. Das Buch, das er als Pfand da ließ, beachtete ich zunächst nicht.
Beim Betrachten fand ich in ihm jedoch Sternkarten und Bezeichnungen, die ich sofort am Himmel überprüfte. Erstmals bekamen meine guten alten Freunde Namen: Vega, Altair und das Kreuz des Schwans, die ich seit meiner frühesten Kindheit kannte.
Das war mein erster kurzer Blick in die wissenschaftliche Welt der Astronomie.”

Als 13-jähriger bastelte ihm einer der Mitarbeiter des Fotostudios ein rudimentäres Teleskop aus einer Lupe und Pappe. Etwas später entstand dann aus Blech und einer 2 1/4 Zoll (~57 mm) Linse ein besseres Instrument, das auf ein Stativ montiert Barnard tolle Blicke auf den Mond, Venus und andere Planeten ermöglichte und ihm große Freude bereitete.

Während Barnard weiter als Fotograf arbeitete, legte er einen Teil seines geringen Lohns beiseite, sodass er sich nach einigen Jahren als etwa 18-jähriger für 380.- Dollar ein 5 Zoll Teleskop kaufen konnte; eine hohe Summe bei einem Monatsverdienst von rund 55.- Dollar!

Weitere glückliche Zufälle, Begegnungen und freundliche Hinweise brachten ihn dazu, sich mit Unterstützung im abendlichen Studium mathematische Kenntnisse anzueignen und sich auf die (damals populäre) Suche nach Kometen zu begeben. Dies führte Barnard schrittweise tiefer in die Astronomie und (im Nachhinein betrachtet) zu seiner wahren Bestimmung.

Barnard als Astronom

Kometenentdeckung und Studium

Am 21. Mai 1881 gelang ihm als frisch verheirateter 23-jähriger seine erste Kometenentdeckung. Er hatte jedoch zunächst keine Ahnung, wie und wo solche Entdeckungen bekannt zu machen seien. Doch seine Neugier und sein Ehrgeiz machten sich bezahlt: Dank seiner nun systematischen Herangehensweise konnte er am 17. September erneut einen Kometen finden und diesen auch gemäß den vorgegebenen Richtlinien veröffentlichen: Comet 1881 VI.

Zu diesem Zeitpunkt erfuhr er, dass ein Preis von 200.- Dollar* ausgelobt worden war; für die Entdeckung neuer Kometen.
(*Das entsprach knapp 4 Monatsgehältern. Alternativ entspricht es einer heutigen Kaufkraft von etwa 6000.- Dollar)

Kometenentdeckungen finanzieren ein Haus

Mit Fleiß, Sparsamkeit und geliehenem Geld gelang es ihm, ein kleines Haus für sich und seine Frau zu bauen, an einem Standort, der ihm ideale Bedingungen für die Himmelsbeobachtung bot.
Sein Leben war hart, das Geld knapp. Er arbeitete von früh bis spät zur Sicherung der Existenz und widmete jede klare Nacht der Suche nach “kosmischen Wanderern”, während er sich bei einem wolkenbedeckten Himmel weiter mathematisch bildete.
In den nächsten Jahren entdeckte er weitere Kometen, was ihm jedes Mal die Preissumme von 200.- einbrachte. Später bezeichnete er sein Zuhause, das praktisch “von den Kometen bezahlt wurde”, als “the comet house”.
(Letztendlich entdeckte er im Laufe seines Lebens knapp 20 Kometen.)

Astronomisches Studium ohne Schulabschluss

1883 begann seine Zusammenarbeit mit der nahe gelegenen und erst 10 Jahre zuvor gegründeten Vanderbilt Universität.
Barnard hatte sich in Nashville einen Namen als fähiger Autodidakt und begeisterter Amateur-Astronom gemacht und seine Kometenentdeckungen waren der Fachwelt nicht verborgen geblieben.

Seine nicht vorhandene Schulbildung versagte ihm ein richtiges Studium mit Examen, jedoch wurde er als Lehrer für praktische Astronomie eingestellt und durfte als “non-degree special student” die Vorlesungen besuchen.
Erneut hatte sich seine Ausdauer, sein Charakter, glückliche Zufälle und Empfehlungen ausgezahlt, sodass ihm der Universitätsdirektor eine Chance gab, die Barnard zu nutzen wusste.

Seinen Beruf als Fotograf musste er aufgeben, was sein Jahreseinkommen von 600.- auf 300.- Dollar halbierte.
Doch die Möglichkeit, eine Wohnung auf dem Campus zu beziehen und die Verantwortung zu übernehmen für ein jederzeit zugängliches neues 6 Zoll Teleskop samt wichtigem Equipment, entschädigte für diese Einschnitte.

In den folgenden 4 Jahren befasste sich Barnard voll und ganz mit dem Studium der Astronomie, wobei ihm der formelle Abschluss verwehrt wurde.

Astronom am Lick Observatory

Sein nächster Schritt und gleichzeitig der, der ihn letztendlich zur Astrofotografie und zur Erstellung seines Atlas’ brachte, erfolgte 1887:
Barnard wurde eingeladen, Teil einer Gruppe von Astronomen zu werden, um Arbeiten und Studien am neu erbauten Lick Observatory durchzuführen.

Das Lick Observatorium war damals “state-of-the-art”.
Es war das erste astronomische Beobachtungszentrum, das auf dem Gipfel eines Berges (Mount Hamilton/Kalifornien in 1300 m Höhe) erbaut wurde. Ein Standort mit im Schnitt 330 klaren Nächten, weit über den Nebeln und damals praktisch ohne Lichtverschmutzung.
In ihm befand sich das zu jener Zeit weltweit größte Linsenteleskop, der 36 Zoll messende ‘Great Lick Refractor’. (91 cm Öffnung bei 17,37 m Brennweite.)
Diese Aufnahme verdeutlicht die Größe des Geräts.

Vom Hobby-Sterngucker ohne Schulabschluss in die erste Liga der Astronomen

Für Barnard muss das eine große Ehre gewesen sein, an diese Einrichtung berufen zu werden.
Der gerade 30-jährige stieg in die höchste Liga der Astronomie auf und wurde ein anerkannter Berufs-Astronom. Beinahe unglaublich, hatte er doch noch 5 Jahre zuvor als Fotograf ohne Schulbildung gearbeitet und nur hobbymäßig den Nachthimmel beobachtet.

Und hier, am Lick Observatorium, startete er ab 1888 seine ersten Versuche der Astrofotografie.

Weitere Stationen

Acht Jahre später, 1895, wurde er Professor für Astronomie an der Universität Chicago.
Bereits nach zwei Jahren, 1897, wechselte er an das zur Universität gehörige Yerkes Observatorium, um sich wieder der praktischen Astronomie zuzuwenden. Und selbstverständlich auch der Astrofotografie.

Der Standort erwies sich allerdings als nicht herausragend geeignet für seine Art der Widefield-Astrofotografie, was nach der Fertigstellung des von ihm konzipierten “Astrofotografie-Teleskops” besonders deutlich wurde. Daher beantragte er, am Sonnenobservatorium auf dem Mount Wilson arbeiten zu können, was ab 1905 möglich wurde.
Dort entstand dann ein großer Teil seiner Aufnahmen des Atlas’ (siehe nächster Abschnitt).

Seine Karriere erbrachte über all die Jahre rund 800 wissenschaftliche Arbeiten und viele bemerkenswerte Entdeckungen. Er befasste sich dabei sowohl mit Kometen und Planeten als auch mit der Milchstraße, Materiestrukturen, insbesondere Dunkelnebeln, Sternbewegungen und Parallaxenberechnungen, Doppelstern-Systemen… All dies unterstützt mit den Möglichkeiten, die ihm die Astrofotografie bot.

Nach seiner (visuellen!) Entdeckung des fünften Jupitermondes Amalthea im Jahr 1892 noch am Lick Observatory erhielt er als Anerkennung für seine Leistungen den Doktorgrad (Doctor of Science) der Vanderbilt Universität.
Man bezeichnete ihn als einen aufrichtigen, höflichen und einfühlsamen Mann, der sowohl zurückhaltend war, als auch bei Vorträgen sein Publikum zu begeistern wusste. Sein gesamtes Leben hinweg nutzte er jede klare Nacht, um den Sternenhimmel mit jedem ihm zugänglichen Instrument zu betrachten, was u.a. zu diversen Kometen-Erstentdeckungen führte – er war “the man who was never known to sleep“.

Barnard verstarb 1923 im Alter von 65 Jahren.

I stood upon that silent hill
And stared into the sky until
My eyes were blind with stars and still
I stared into the sky.

Ralph Hodgson
1871-1962

Barnards Astrofotografie

1880: Erstes Foto des Orionnebels

Edward Barnard war nicht der erste, der auf die Idee kam, den Nachthimmel zu fotografieren.

Bereits direkt nach der Erfindung der Fotografie hatten andere Sterne und Planeten abgebildet. (Das Wort “Photographie” stammt, wie im letzten Artikel beschrieben, von Sir John Herschel.)

In den Jahrzehnten ab 1840 gelangen die ersten Bilder von Fixsternen, der Sonne (mit Sonnenflecken und Protuberanzen) und sogar dem Venusdurchgang vor der Sonne im Jahr 1874.
Die erste bekannte Aufnahme eines Nebels entstand 1880. Wenig überraschend war dies ein Foto des Orionnebels, der auch heute noch meist das erste Ziel von Anfängern ist. Vier Jahre später folgte die Andromedagalaxie.

All das waren jedoch nur Einzelbilder, die zwar wissenschaftliche Erkenntnisse erbrachten, jedoch keinen umfassenden Blick oder ein “großes Bild” des Nachthimmels und unserer Milchstraße erschufen.
Allerdings wurde rasch klar, dass lange belichtete Bilder Sterne und Details zeigen würden, die dem visuellen Beobachter verborgen blieben.
So kam der Gedanke auf, Himmelsdurchmusterungen (ähnlich den Sternkatalogen vergangener Jahrhunderte) nun fotografisch anzufertigen.
Der erste Versuch startete ab 1887 in Paris, scheiterte jedoch.

Und an dieser Stelle kommt nun Barnard ins Spiel.

Die großen Teleskope, die ihm nun zur Verfügung standen, ermöglichten zwar wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und erlaubten es visuellen Beobachtern schwächste Objekte zu sehen.
Aber gleichzeitig zeigten die langen Brennweiten und hohen Vergrößerungen sie nur einen winzigen Ausschnitt des Himmels; sowohl visuell als auch fotografisch.
Beispielsweise war das Trapez des Orionnebels damit sichtbar und einzelne Sterne konnten aufgelöst werden, aber die große Orion-Molekülwolke, wie wir das Gebiet rund um den Orionnebel heute nennen, war damit nicht zu erfassen. Und somit war es auch nicht möglich, Rückschlüsse und Erkenntnisgewinn über großflächigere Zusammenhänge herzustellen und zu erhalten.

“Die Portrait Linse soll in keiner Weise mit den fotografischen Teleskopen oder jeglichen großen Refraktoren oder Reflektoren konkurrieren. Sie muss als Ergänzung zu ihnen betrachtet werden, da sie [die großen gebräuchlichen Teleskope] auf sehr kleine Bereiche des Himmels beschränkt sind.”

E.E. Barnard

So fing Edward Barnard kurz nach seiner Ankunft am Lick Observatorium 1887 an, sich der Widefield-Astrofotografie zuzuwenden.
Hier machten sich seine über 17 Jahre lang erworbenen Fähigkeiten als Fotograf bezahlt:
Er baute sich eine Kamera mit einem älteren sehr lichtstarken Portrait-Objektiv*, das ihm noch aus seiner Fotografen-Zeit vertraut war und entwickelte eine dazu passende parallaktische Montierung, auf der er seine Konstruktion befestigte und mit dem Sternenhimmel mitführen konnte.
1905 schrieb er:

“Meine ersten Erfahrungen mit der Portrait-Linse erzeugten den Eindruck, dass es wichtig sei, mit so einem Instrument große Regionen des Himmels abzulichten.
Diese Linse, welche ich secondhand von einem Fotografen aus San Francisco erworben hatte, war eigentlich dafür gedacht Portraits zu fotografieren – daher der Name.
Zu Zeiten der Nassplatten-Photografie waren diese Linsen notwendig, um eine große Lichtmenge zu sammeln. [Später] wurden solche Objektive nicht mehr benötigt. Die große Lichtsammelkraft, die früher so wertvoll war, macht sie allerdings besonders für die Photographie schwacher Objekte geeignet. Sie wurden in der Petzval-Bauweise hergestellt und bestanden aus zwei Linsen, weswegen sie auch als “Doublets” bezeichnet werden.”

E.E. Barnard

Über 8 Jahre hinweg entstanden so eindrucksvolle weite Bilder der Milchstraße, aber auch von Kometen. Sie wurden 1913 veröffentlicht. (Aber leider bis heute nicht digitalisiert.)
Auf den Fotoplatten, die in dieser Zeit belichtet wurden, entdeckte er einige heute sehr bekannte Nebelgebiete.
(Übrigens gelang ihm hier im Jahr 1889 diese Aufnahme der Sonnenfinsternis. 1918 war es Barnard möglich, wesentlich mehr Details abzulichten)

“Dieses Teleskop ist zwar klein, hat aber dafür ein vergleichsweise weites Gesichtsfeld und ist leistungsfähig genug, um dem Beobachter die spannendsten Bereiche des Himmels zu zeigen.
Für ihn offenbart die Milchstraße ihre wundervolle Struktur, die in mit einer Porträt-Linse erstellten Photografien so großartig erscheint.
Der Beobachter mit stärkeren Teleskopen und dem daher notwendigerweise stark beschränkten Gesichtsfeld verliert im Wesentlichen die Wunder der Milchstraße.
Es waren die Anblicke der großflächigen Strukturen der Region im Sternbild Schütze, die in mir den Wunsch weckten, all diese außergewöhnlichen Merkmale zu fotografieren; es war eine der größten Freuden meines Lebens, als dies im Sommer 1889 erfolgreich war.”

E.E. Barnard

So hervorragend seine Bilder mit dem selbstgebauten Instrument auch waren, erkannte Barnard doch, dass er die Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft hatte. U.a. konnte seine bisherige Montierung nicht über den Meridian nachführen.

Daher ließ er ein von ihm entworfenes Gerät bauen:
Auf einem Führungsteleskop (Guiding mit beleuchtetem Fadenkreuz-Okular) mit nur 5 Zoll wurden ein 10 Zoll Dublett mit 50 Zoll Brennweite (250/1280, f5.1) und ein 6 1/4 Zoll Objektiv mit 31 Zoll Brennweite (160/790, f5) montiert.
Mit diesem als “Bruce-Teleskop” bezeichneten Gerät entstanden die Fotos für Barnards “Atlas of the Milky Way”.
Dieses Gerät ermöglichte es nun auch während des Meridian-Durchgangs zu belichten und somit Objekte zu ihrem Höchststand zu fotografieren.

“Die notwendigerweise langen Belichtungszeiten erforderten eine ungewöhnliche Montierung, um ununterbrochene Belichtungen zu ermöglichen.
Es gab zwei denkbare Arten, die eine kontinuierliche Führung über den Meridian ermöglichen […]. Aber beide erschienen nicht als die beste Form für meine Zwecke.
Die Brennweite des 10″ beträgt 50″ (128 cm); Bei dieser kurzen Länge*, erschien es mir sinnvoll, die Montierung so zu biegen, dass sie selbst eine Linie mit der Polachse bilden würde. So könnte das Teleskop frei schwingen.
Mit dieser Idee reiste ich nach Cleveland zu Mr. Swanay. Er interessierte sich sofort für meinen Vorschlag und entwickelte ein Konzept, das schließlich für die Montierung übernommen wurde.
Das Ergebnis ist vollkommen zufriedenstellend und die Montierung ist meiner Meinung nach die beste, die jemals für diesen Zweck gebaut wurde.”

*1280 mm Brennweite waren für Barnard eine im Vergleich zu den üblichen Teleskopen geradezu weitwinklige Optik.

Diese Aufnahme zeigt das Triplet-Teleskop, aber vor allem die speziell hierfür entworfene Montierung:
Die gebogene Säule formt eine Linie mit der Pol-Achse. Somit kann der 3’er Teleskop frei bewegt werden und über den Meridian hinweg belichten.
Auch wenn die Konstruktion aus heutiger Sicht sehr massiv wirken mag, beschrieb Barnard sie als “portable” und “compact”, also problemlos transportfähig. Und das bei einem Gewicht von 600 kg, ohne Teleskope! Sein Gerät sollte an verschiedenen Standorten nutzbar sein; auch in der südlichen Hemisphäre.
Beides ist möglich, da das Gerät mehrteilig ist, die Polhöhe verstellt und dem Breitengrad angepasst werden kann und die Drehrichtung (für die Südhalbkugel) umkehrbar ist.
Zusätzlich bietet die Montierung ausreichend Kapazitäten und die kompakte Dreifach-Optik Anbauoptionen für weitere Instrumente oder Kameras. (Das Bild unterhalb zeigt weitere angebrachte Kameras.)

“Dieses Teleskop ist wirklich ein “Triple” in seiner Art, da alle drei Tuben starr miteinander verbunden sind und diese gemeinsam auf derselben Montierung: Das 5-Inch Teleskop für visuelles Guiding und die beiden 10 bzw. 6 1/4-Inch Photo-Doublets.”

E.E. Barnard

Nach der Fertigstellung 1904 und einer kurzzeitigen Nutzung an Barnards Tätigkeitsstätte, dem Yerks Observatory, wurde das Teleskop 1905 auf dem Mount Wilson aufgestellt; der ursprüngliche Standort hatte sich als ungeeignet erwiesen für diese Art der Widefield-Astrofotografie mit lichtstarken Objektiven.
Trotz eines eigentlich dunklen Himmels, sorgte der flache Standort (und damit einhergehend die ‘Dicke der Atmosphäre’) für Probleme.
Der gleiche Grund, warum noch heute Observatorien an möglichst hoch gelegenen Standorten errichtet werden:
Ein dunkler Flachlandhimmel ist einem identisch dunklen Berghimmel immer unterlegen.

“Die Optiken sind so lichtstark, dass der Himmel selber zu einem Nachteil werden kann. Selbst unter guten Himmelsbedingungen sind die Aufnahmen mehr oder weniger weißlich, aufgrund der Lichtbrechung an Staub und Luftfeuchtigkeit der Atmosphäre”

E.E. Barnard

Auf dem Mount Wilson in 1800 Metern Höhe wurden dann von Februar bis September 1905 ein Großteil der Glasplatten des Atlas’ belichtet. Aus ihnen entstand der “Dunkelnebel-Katalog”.
An diesem Standort, der in den Sommermonaten einen von Wolken nahezu ungestörten Himmel bot, arbeitete Barnard fast ununterbrochen. Angeblich verließ er seine “Gebirgsstation” nur ein einziges Mal, um die Dienste eines Friseurs in Anspruch zu nehmen.

Edward Barnard an seinem Teleskop auf dem Mount Wilson.
University of Chicago Photographic Archive, [apf6-04469]

Auch wenn seit dieser Aufnahme fast 120 Jahre vergangen sind, mag sich so mancher doch an seine eigene Astrofoto-Gartensternwarte erinnert fühlen: Eine einfache Holzhütte mit einer Rolldachkonstruktion; Barnards Arbeitsplatz im Jahr 1905.
University of Chicago Photographic Archive, [ apf6-01621r]

“Den Frühling und Sommer 1905 verbrachte ich mit fotografischen Arbeiten am Sonnenobservatorium der Carnegie Institution auf dem Mount Wilson in Kalifornien.
Das Teleskop wurde von Februar bis September 1905 in einer temporären Holzkonstruktion installiert, von der das Dach heruntergeschoben werden konnte, um einen ununterbrochenen Blick auf den Himmel zu ermöglichen.
Der Standort befindet sich 5900 Fuß [*1800 m] über dem Meer auf 34°13.
Das Hauptziel dieser Expedition zum Mount Wilson war es, die bestmöglichen Fotos der Milchstraße und das so weit südlich wie möglich zu erstellen.”

E.E. Barnard

Dark Markings Of The Sky – Barnards Dunkelnebel-Katalog

1919 veröffentlichte Barnard in “The Astrophysical Journal” einen Artikel unter der Überschrift:
“On the dark markings of the sky – with a catalogue of 182 such objects”.

Neben Photographien und Erläuterungen gab es im Anhang eine tabellarische Liste von 182 dieser “dunklen Flecken im Himmel”, die er auf seinen Aufnahmen identifiziert und markiert hatte.
Dies war selbstverständlich kein Artikel über “ach so schöne Dunkelnebel”, sondern ein Aufsatz mit einem wissenschaftlichen Anspruch.
Die visuell sichtbaren “Löcher im Sternenmeer” waren seiner (richtigen) Ansicht nach nicht die angeblich ‘sternenlosen Gebiete’, als die beispielsweise die Herschels sie betrachtet hatten, sondern vielmehr Regionen, an denen Materie das Sternenlicht abschattet.

Dunkle Materiewolken? Eine neuartige Vorstellung

Wenngleich Barnard die Existenz von Materiewolken in diesem Aufsatz 1919 überzeugend belegte, war es auch für ihn (wie für die gesamte wissenschaftliche Gemeinde) eine recht neue Erkenntnis.
Anfangs zweifelte Barnard bezüglich dieser Idee und tendierte eher zur Mehrheitsmeinung und somit jener Annahme der Herschels, dass es sich um echte sternfreie Bereiche handeln müsse.

(Wie ich im vorausgehenden Artikel zur Entstehung des NGCs aufgezeigt habe, waren die Herschels überzeugt, dass es absolut sternfreie Regionen im All geben würde. Sie glaubten, dass Sternhaufen unter Gravitation entstünden und dabei die Sterne der Umgebung derart anziehen würden, als dass eben jene tatsächlich vollständig sternfreien Stellen zurück blieben würden.)

Herschel: Es gibt tatsächlich absolut sternfreie Regionen.
Sterne gruppieren sich unter Gravitation. So entstehen Sternhaufen und Sterneninseln einerseits und es verbleiben wirklich sternfreie Regionen andererseits.

Edward Barnard: Nicht leuchtende Materiestrukturen (“dunkle Wolken von der Art eines Nebels”) verdecken, je nach Dichte und Mächtigkeit, den Blick auf dahinter liegende Sterne ganz oder teilweise.
Die Materiewolke befindet sich zwischen uns und den Sternen dahinter. Sie verdeckt unseren Blick. Es gibt keine tatsächlich sternfreien Regionen.

Barnard änderte seine Meinung auch aufgrund seiner Fotografien.
Zitate von 1905, 1913, 1916 und 1919 zeigen das deutlich.

Noch 1904 erwähnte er seine Zweifel an Materiewolken in einer Publikation zu seiner Astrofotografie fast nebenbei:

“In Bezug auf diese dunklen Bahnen und Löcher [im Sternenmeer] scheint es eine wachsende Tendenz zu geben, sie als dunkle Massen zu betrachten, die das Licht der Milchstraße und der Nebel abschatten.

Obwohl dies in einigen Fällen zutreffen mag – denn einige von ihnen sehen sehr danach aus –, denke ich, dass sie [die sternfreien Stellen] leichter unter der Annahme erklärt werden können, dass es sich um echte Leerstellen handelt. In den meisten Fällen weisen die Beweise greifbar in diese Richtung. In den wenigen Fällen, in denen das Erscheinungsbild eher auf die andere Idee hindeutet – und dies bezieht sich hauptsächlich auf die Nebel – ist der Beweis noch nicht sehr stark.”

E.E. Barnard – 1904

Die grandiosen Aufnahmen, die er auf dem Mount Wilson während des Jahres 1905 erstellen konnte, brachten ihn jedoch dazu, seine Meinung zu ändern. Er gelangte nach und nach zur Überzeugung, dass es nur Materiestrukturen sein konnten, ja mussten.

1913 schrieb er:

“Die sogenannten “schwarzen Löcher” in der Milchstraße sind von großem Interesse.
Einige von ihnen sind derart, dass sie keine Löcher vermuten lassen, sondern irgendeine Art abdunkelnder Gebilde, die in der Milchstraße oder zwischen uns und ihr liegen und somit das Licht der Sterne verdecken. Diese Erklärung erscheint mir immer plausibler zu werden.”

E.E. Barnard – 1913

Im Jahr 1916 hatte sich seine Meinung bereits gefestigt. Hier findet sich nun auch der Begriff Dunkelnebel (dark nebulae):

“Himmelsfotografien zeigen uns oft große dunkle Stellen, die in ihrer Größe mit den Nebeln vergleichbar sind und hier und da über den Himmel verstreut sind. Sie kommen vor allem im Bereich der Milchstraße vor.
Der erste Eindruck, den diese Objekte vermitteln, ist, dass sie Öffnungen im Sternenmeer sind, durch die wir in die Schwärze des dahinter liegenden Weltraums blicken.

Je vertrauter wir jedoch mit ihnen werden, desto weniger überzeugt diese Erklärung.
Daher vermuten wir, dass die meisten von ihnen wirklich dunkle oder schwach leuchtende Körper sind, die sich vor einem helleren, sternenreichen Hintergrund als dunkles Relief zeigen. Einige von ihnen sind zweifellos echte Leerstellen oder Orte, an denen die Sterne tatsächlich ausgedünnt werden.[…]
Aber derzeit interessieren uns nur jene dunklen Stellen, die den Eindruck erwecken, es handle sich um reale Objekte und nicht um bloße Leerstellen. Was ihre Natur ist, wissen wir nicht, und die Spektroskopie kann uns nicht helfen, weil die Objekte lichtlos oder nahezu lichtlos sind.
Aber es gibt starke Beweise dafür, dass sie von der Natur des Nebels sind – das heißt, dass sie Dunkelnebel sind.”

E.E. Barnard – 1916

Sein Beitrag On the dark markings of the sky im Jahr 1919 verdeutlicht, dass “Dunkelnebel” nun in seinen Augen die einzig logische Erklärung für die scheinbaren “dark holes” oder Leerstellen waren. Er sah seine Fotografien als eindeutigen Beweis für dunkle Materiewolken:

“Für mich ist dies alles ein schlüssiger Beweis dafür, dass im Raum Massen von undurchsichtiger Materie existieren, die mit den gewöhnlichen Porträtlinsen leicht auf Fotografien gezeigt werden können.
Was die Natur dieser Materie sein mag, ist eine ganz andere Sache.”

E.E. Barnard – 1919

Die Originalpublikation kann hier eingesehen werden: On the dark markings of the sky (1919)

Wissen im Wandel

Man muss sich vergegenwärtigen, dass damals viele der heute geradezu offensichtlichen astronomischen Tatsachen nur Vermutungen oder gänzlich unbekannt waren.
Die langsam in Edward Barnard wachsende Erkenntnis, dass es tatsächlich irgendwelche dunklen, das Sternenlicht abschattende Materiestrukturen geben müsse verdeutlicht das.

Das Universum: 20 Millionen Jahre jung?

Es war noch nicht einmal endgültig bewiesen oder wissenschaftlicher Konsens, dass das Universum ungemein alt ist. Man ging von etwa 20 Mio. Jahren aus (nicht wie heute von 14 Milliarden!)
Genauso wenig war klar, wie ungemein groß es ist.

Andromeda: Ein Nebel in der Milchstraße oder eine eigene Sterneninsel außerhalb?


Die Frage, ob die Milchstraße das gesamte Universum sei (oder nur eine von unzähligen kleinen Sterneninseln) war noch ungeklärt.
Und daraus folgend auch die Frage, ob der Andromeda-Nebel nur einer von vielen Nebeln innerhalb der Milchstraße sei oder eine eigene Welteninsel außerhalb. Das wurde erst 1923 (im Todesjahr Barnards) von Edwin Hubble beantwortet. (Aber erst 1925 publiziert)
(Dies mündete u.a. in “der großen Debatte”, bei der zwei Lager gegeneinander argumentierten: Die einen waren überzeugt, dass die Milchstraße nur eine von vielen “Sterneninseln” sei und Andromeda eine eigene in einem riesigen Universum. Die anderen waren sicher, dass es nur ein ‘kleines Universum’ gäbe und Andromeda einer von vielen Nebeln in unserer Nähe. Das war vor etwa 100 Jahren und ist im Artkel zur Andromeda-Galaxie genauer beschrieben.)

Dies zeigt auf, warum sich Barnard um oder kurz nach der Jahrhundertwende auf großflächige Strukturen und den Wechsel zwischen hellen und dunklen (scheinbar sternlosen) Regionen fokussierte.
Die Zusammensetzung und der Aufbau der Milchstraße war weitaus weniger klar als heute. Seiner (letztendlich richtigen) Überzeugung nach boten die weiten Anblicke einen ganz anderen Erkenntnisgewinn als die bisher praktizierte Beobachtung mit immer größeren Teleskopen immer tiefer ins All.

Dunkelnebel und Widefield-Astrofotografie halfen den Aufbau der Milchstraße zu verstehen

Daher ist sein “Dunkelnebel-Katalog” vor allem Zeugnis seiner Bemühungen, die Beschaffenheit der Milchstraße oder der in ihr ungleichmäßig verteilten Materie zu erforschen.
Er hatte nicht die Absicht, einen Katalog visuell reizvoller Dunkelnebel zu erstellen, sondern markierte sie auf seinen Aufnahmen und nummerierte sie, um sie in seinen Texten ansprechen zu können.
Der Katalog ist somit nur der tabellarische Anhang zu den Fotos und den beschreibenden Texten.

“Mein hauptsächliches Ziel bei der Präsentation dieser Fotografien war es, Bilder von einigen der interessantesten Teile der Milchstraße in einer solchen Art zu zeigen, dass sie zum besseren Verständnis ihrer allgemeinen Struktur untersucht werden können.”

E.E. Barnard

Heute ist “Barnards Dunkelnebel-Katalog” für uns begeisterte Amateur-Astronomen, visuelle Beobachter und Astrofotografen überwiegend ein Verzeichnis mehr oder weniger lohnenswerter Beobachtungs- oder Fotoziele. Aber auch (nach der Lektüre dieses Artikels) ein möglicher Einblick in die astronomische Arbeit von vor rund 100 Jahren.
Für Barnard waren es Forschungsobjekte.

Aber – und das darf man nicht unterschätzen – Barnard war kein kalter Forscher, sondern (vor allem auch) ein leidenschaftlicher Himmelsbeobachter und -fotograf.
Seine Bilder und Publikationen dienten somit nicht nur der Wissenschaft, sondern ermöglichten ihm, das zu teilen, was er so liebte: Die Milchstraße in ihrer abwechslungsreichen, großartigen und wunderschönen Vielfältigkeit.



Der Dunkelnebel-Katalog ist dabei untrennbar mit dem Atlas der Milchstraßenregionen verknüpft. Barnard zeichnete seine Dark Markings auf eben jenen Photografien ein, die später im Atlas erschienen:

Der “Atlas of the Milky Way”

Die relativ teure Erstellung eines gedruckten Atlas’ wurde ab 1907 von der Carnegie Institution finanziert. Doch Barnards Ziel der Perfektion verschob die Veröffentlichung immer weiter in die Zukunft.
Er arbeitete unermüdlich und Jahr für Jahr an der Montage und Beschreibung der Fotografien und sah sich (als Fotograf mit Erfahrung im Druck) verantwortlich, jede einzelne gedruckte Seite persönlich auf mögliche Druckmängel zu überprüfen; bei einer geplanten Auflage von 700 Atlanten waren das rund 35.700 einzelne Druckseiten, die er begutachten wollte!
Zu Barnards Tod im Jahre 1923 hatte er diese Aufgabe nicht abgeschlossen.
Sie wurde von seiner Nichte, die seit 1905 als seine Assistentin gearbeitet hatte, und einem Mitarbeiter des Yerks-Observatoriums vollendet. Das nun zweibändige Werk erschien 1927 als “A Photographic Atlas of Selected Regions of the Milky Way“.

Barnard bleibt somit nicht nur als einer der großen visuellen Astronomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Erinnerung, sondern auch als der erste Widefield-Astrofotograf. Oder eben als “der Mann, der niemals schlief”.
Ein Autodidakt, dessen Geschichte zeigt, was man mit Fleiß, Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit und einem kleinen Quäntchen Glück erreichen kann.
Ein Astronom, der für uns, die wir ebenfalls des Nachts unsere Kamera gen Himmel halten, als “der erste richtige Astrofotograf” gelten kann.

Beispiel

Im Folgenden möchte ich ein Beispiel aus Barnards fotografischen Milchstraßen-Atlas herausgreifen und es mit einer modernen Fotografie vergleichen.

Zu sehen gibt es zunächst Barnards Aufnahme “Plate 13” und die von ihm eingezeichneten “Dark Markings”.
Danach eine (eigene, freie und stark gekürzte) Übersetzung seiner Beschreibung dieser Fotoplatte. Anhand dieses Textes wird deutlich, wie Barnard seine Fotografien nutzte, um die Ergebnisse seiner Forschung zu Dunkelnebeln zu untermauern und leicht verständlich darzustellen.
Man muss sich dabei erneut vor Augen halten, dass Tatsachen, die uns heute bekannt sind und nur allzu logisch erscheinen (wie Sternenlicht, das von interstellarer Materie, also sog. Dunkelnebeln oder -wolken geblockt wird), damals neue Erkenntnisse waren, die u.a. erst mit Hilfe der großflächigen Fotografie gewonnen wurden.

Zuletzt folgt eine Aufnahme von 2019, ebenfalls mit einigen eingezeichneten Objekten. Der direkte Vergleich macht deutlich, wie gut Barnards Fotografien waren und sind.

“Plate 13 – Regions of the great nebula of Rho Ophiuchi”
aus dem Photographic atlas of selected regions of the Milky Way.

Mit folgenden Worten beginnt der beschreibende Text Bernards:

Die Region um Rho Ophiuchi ist eine der außergewöhnlichsten des Himmels und der Nebel selber ist ein wunderschönes Objekt:
Mit seiner Umgebung, dem dunklen Fleck, in welchem er sich befindet und den nach Osten strebenden leeren Bahnen, ergibt sich ein Bild, das im gesamten Himmel seines Gleichen sucht.

Wie die ähnlichen teils undurchsichtigen Nebel im Sternbild Stier (Fotoplatte 5), die eine ähnliche Fläche bedecken und ebenfalls mit dunklen Bahnen verbunden sind, ergibt sich der Beweis, dass sie die dahinter liegenden Sterne abschatten/verdecken.


Aus der Untersuchung des Bildes ergibt sich eindeutig, dass der wirkliche Himmelshintergrund hier eine einheitliche Verteilung schwacher Sterne aufweist. […] Die unausweichliche Schlussfolgerung ist, dass es hier keine tatsächlich leeren, sternfreien Regionen gibt, sondern dass sich zwischen uns und dem Hintergrund ein dunkler Nebel befindet, der die Sterne verdeckt.
Dies erkennt man auch auf der Westseite des Nebels, wo sich schwächere Nebel zeigen. [rechts] Überall dort, wo sie dichter sind, verschwinden die kleinen Sterne des Hintergrundes.
Die ziemlich hellen Sterne, die dort sichtbar sind, befinden sich zweifellos auf unserer Seite des Nebels und werden daher nicht von ihm verdeckt.
[…]
Besonders auffallend ist bei allen Nebeln dieser Region die Tatsache, dass sie zu schwach sind, um mit den Augen gesehen zu werden; auch nicht mit leistungsstarken Teleskopen. Das Licht des Nebels erscheint hingegen fast vollständig photografisch darstellbar.
[…] Das originale Negativ, Nummer 177, wurde auf dem Mount Wilson aufgenommen.

Fotos als Beweis für ‘dunkle Wolken von der Art des Nebels’

Barnard gelang mit dieser und weiteren Fotografien ein schlüssiger Beweis der Existenz von Materie-Wolken, die den Blick auf dahinterliegende Sterne verwehren. Er konnte damit überzeugend belegen, dass die Annahme William und John Herschels falsch war, dass es sich um “sternenlose Löcher” im All handeln würde.
Die Herschels waren noch davon ausgegangen, dass Sternhaufen durch Gravitation entstehen würden. Dabei, so die Erklärung, würden die Sterne aus der Umgebung abgezogen und hinterließen dann eben jene sternfreien Regionen. Dies würde auch zur Segmentierung der Milchstraße in sternenreiche und vollkommen sternenfreie Gebiete führen.

Diese Aufnahme (Canon 7Da – Samyang 135 mm ~3,5 Stunden, März 2019) unterstreicht die Aussagen, die Barnard in seinem Text zur Fotoplatte 13 macht:
Es wird auch hier deutlich, dass die Nebelregion “Rho Ophiuchi” nördlich des hellen Sterns Antares und vor allem auch die langgezogenen Dunkelnebel (“dark lanes”) keine “sternlosen Löcher” im Himmel sind, sondern vielmehr den gleichmäßig mit schwachen Sternen bedeckten Himmelshintergrund überlagern und uns, je nach Dichte des Nebels, die Sicht auf diese Sterne ganz oder teilweise verdecken. Meine Aufnahme ‘quetscht’ die bunten Nebel übrigens absichtlich an den rechten Rand, um die ‘dark lanes’ zu zeigen.
(Klick für großes Bild.)

Was übrigens im direkten Vergleich meiner Aufnahme und der von Barnard auffällt, ist das fast vollkommene Fehlen ‘roter Nebel’.
Die damals verwendeten lichtempfindlichen Emulsionen waren nicht bzw. nur mit Umwegen und auch dann kaum in der Lage, rotes Licht aufzuzeichnen.
Das wird in allen Fotoplatten, die vor etwa 1915 entstanden, deutlich.
(Aufnahmen des Orionnebels aus dieser Zeit wirken sehr ähnlich wie aktuelle Aufnahmen, die mit nicht astromodifizierten Kameras erstellt wurden und in denen ‘das rote Licht’ größtenteils gelockt wird.)

Objekte des Katalogs

Bisher viel zu kurz kamen die Objekte des Katalogs. Es sind immerhin fast 350 Nummern (Aber weniger tatsächliche Einträge) vorhanden.
Viele davon sind nur kleine unscheinbare Gebiete, andere sind riesig und wieder andere wunderbare Objekte für die visuelle Beobachtung oder die Astrofotografie.

Ein paar möchte ich hier in Fotografien von mir zeigen.
(Alle anklickbaren Bilder können auch mit rechtsklick + ‘in neuem tab öffnen’ noch größer betrachtet werden)

Barnards E-Nebel = B142 und B143
Ich greife als erstes den E-Nebel heraus, da er visuell einfach zu erkennen ist (ein normaler Feldstecher ist ausreichend) und sich auch auf Fotos mit relativ weiten Brennweiten gut und rasch ablichten lässt.

Dieser Link öffnet dasselbe Bild größer. Dort sind dann auch die “Dark Markings” zu sehen, ganz so wie Barnard sie vor rund 100 Jahren in seinem Bild eingezeichnet hat.
Das “E” ist die nicht ganz zusammenhängende Struktur fast in der Mitte, rechts neben dem gelblichen Stern Tarazed ( 50 Aql).
Eine ausführlichere Beschreibung (inkl. Details zur Aufnahme, Belichtungszeiten, Equipment etc. findet sich hier: Barnards E-Nebeula)

Barnards Dunkelnebel entlang der Schild-Wolke
Ein schönes Beispiel für die Kleinteiligkeit von Barnards Katalogisierung ist folgendes Bild der großen Schild-Wolke mitten in der Milchstraße.
Ich habe nur einige seiner “Markings” in mein Bild übernommen, um deutlich zu machen, wie detailliert er einzelne dunkle Flecken umriss. Hier das Bild inkl. Barnards ‘markings’

Aufnahme mit 85 mm.

Barnards Dunkelnebel im Kepheus
Genau dasselbe wie bei der Schild-Wolke lässt sich auch über die folgende Aufnahme der Region um Sharpless 131 (mit dem bekannten Elephantenrüssel-Nebel IC 1396A) im Sternbild Kepheus sagen.
Auch hier finden sich viele sehr kleinteilige Markierungen. Erneut zum Anklicken:
(200 mm Brennweite.)

beschriftete Version zum anklicken

Derselbe, fast kreisrunde Nebel im Kepheus (Sharpless 131) mit 274 mm und einer sehr gewagten Bildbearbeitung.
Auch hier in der anklickbaren Version einige von Barnards ‘dark markings’

Weitere Beispiele

Barnards Dunkelnebel finden sich an vielen Stellen in und entlang der Milchstraße.
Im folgenden Bild, dieses Mal mit 600 mm, direkt neben dem Sternhaufen M7 im Sternbild Skorpion.

Genauso auch hier in der Grenzregion zwischen Schild, Schlange und Schütze:

Ebenfalls mit Barnards Nebeln und weitern.
Auch zu dieser 135 mm Aufnahme gibt es eine eigene Seite, die Details zur Fotografie (Belichtungszeiten, Equipment etc.) aufzeigt.

Besonders vielfältige Dunkelnebel, die vor einem scheinbar gleichmäßig mit Sternen bedeckten Hintergrund stehen, finden sich am Rande der Milchstraße im Sternbild Schlangenträger. (Rechts vom Schützen, bzw. links vom Skorpion). Allgemein ist dieses Gebiet auch als Pfeifen-Nebel bekannt.
Hier in einer Aufnahme mit 450 mm, f/6.3, Canon 6Da, ~4 Stunden Belichtungszeit

Beschriftungen

Dieselbe Region in einer 50 mm Aufnahme:

Beschriftung

Ein Ausschnitt daraus. Eingezeichnet sind Barnards ‘dark markings’ analog zu seinen eigenen Zeichnungen auf seiner Fotoplatte.

Hier Barnards Aufnahme und rechts seine ‘dark markings’ (eigenständige Kombination gemäß dem ‘Atlas’)

Plate 20 – dark markings near Theta Ophiuchi – June 1905

Diese Aufnahme, inkl. der ‘markings’, verdeutlicht vielleicht auch ganz gut, worum es Edward Barnard ging:
Einerseits hatte er einen ästhetischen Anspruch: Er wollte die Schönheit der vielfältigen Strukturen des Nachthimmels zeigen.
Vor allem aber ging es ihm um die Natur der Dinge, um wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Seine fast unzähligen Veröffentlichungen in verschiedenen astronomischen Journalen bezeugen dies.

Die Bilder und Zeichnungen sind in diesem Zusammenhang schlichtweg ein Hilfsmittel (und gleichzeitig irgendwie auch der Beweis), um die von ihm vorgestellten Erkenntnisse oder Theorien zu untermauern.
Er nummerierte und umzeichnete einzelne Bereiche, um sie im Text ansprechen zu können. Beispielsweise so:
“The great curved, dark marking in the upper right of the plate (B 63), with its west end so sharply defined, is full of details on the original negative. The dark patches south and west of B 63 are at the eastern end of the dark lane (shown in Plates 13 and 14) which extends from this point westward to the region of Rho Ophiuchi. Certainly this is one of the most surprising and curious regions in the sky.”
(Hier bezieht sich Barnard auf seine Aufnahmen der Rho Ophiuchi Region mitsamt den ‘Nebeln bei Antares’ und den ‘dark lanes’, die sich von der Milchstraße bis zum Rho Ophiuchi Komplex erstrecken. Diese Region mitsamt Plate 13 habe ich bereits oben besprochen.)

Auch die folgende Aufnahme zeigt einige sehr dunkle Dunkelnebel von Barnard. Hier im Grenzgebiet zwischen den Sternbildern Auriga und Taurus: Der obere und linke Bereich des Bildes ist noch der Wagenlenker; der Reflexionsnebel rechts unten befindet sich bereits im Stier:

Beschriftetes Bild

Hier haben wir nun nicht ganz die Nummer 1 aus dem Dunkelnebel-Katalog, aber immerhin Barnards dark markings #3 und #4.
Eingebettet in eine bunte Region in der Perseus Molekül-Wolke (342 mm, f/4.5, 2x Crop OSC-Kamera)

Beschriftungen

Die Nummer 1 gibt es dann hier, allerdings wieder in einem weiten Feld, in dem sich auch NGC1499 befindet. , Der California-Nebel (oder eben NGC1499) ist eine der bekanntesten Entdeckungen von Edward Barnard.

Natürlich kann man diese Aufnahme wieder mit Beschriftungen betrachten. Allerdings gibt es zu dem Bild auch wieder eine ausführliche Seite, die alle Details (Himmelsbedingungen, Equipment, Belichtungszeiten etc.) beschreibt.

Das vorletzte Bild zeigt eine fast allein im Raum schwebende, relativ klar umrissene Struktur. Oder sollte ich sagen “schwimmende Struktur”?
Es handelt sich hierbei um B150 im Sternbild Kepheus mit dem treffenden Trivialnamen “Seepferdchen-Nebel”.
In dieser Aufnahme wird nochmals deutlich, dass diese “Dunkelwolken” eben keine “sternlosen Himmelslöcher” sind, sondern Materiewolken ohne eigene Strahlkraft, wie bei Emissionsnebeln und auch ohne helle Sterne, deren Licht vom Nebel gespiegelt und gestreut werden könnte, wie das bei Reflexionsnebeln der Fall ist.
Es sind einfach dunkle Wolken, die den Blick auf den sternenreichen Himmelshintergrund verdecken.
(450 mm, f/6.3, 2x Crop, leider nur rund 4 Stunden Belichtungszeit)

Erneut B150. Allerdings in einem viel größen Feld. Findest Du das Seepferdchen auf Anhieb?
Zum Größenvergleich: 200 mm mit Canon 6Da Vollformat (unterhalb) vs. 450 mm mit dieser 2x Crop OSC-Astrocam (oberhalb). Bezogen auf das KB-Format also gefühlt 200 vs. 900 mm.
Ich vermute, dass Du mir zustimmst, wenn ich behaupte: “Lange Brennweiten sind nicht zwingend notwendig. Auch normale Fotoobjektive zeigen die Wunder des Nachthimmels.”

Ein weites Feld im Sternbild Kepheus, auf dem erneut der zuvor in einer “Nahaufnahme” gezeigte “Seepferdchen-Nebel” B150 zu sehen ist. Wieder mit weiteren Objekten, die Edward Barnard verzeichnete.

Ich habe dieses letzte Bild an dieser Stelle ausgewählt, um bereits auf die weiteren Folgen der Artikelserie zu verweisen.
Denn in der Aufnahme finden sich mehrere Objekte aus dem Emissionsnebel-Katalog von Steward Sharpless (Sh), ein Objekt aus dem Reflexionsnebel-Katalog von van den Bergh (vdB) und zwei sehr markante Strukturen, die Beverly T. Lynds in seinem Katalog heller Nebel (LBN) verzeichnete. Diese drei Kataloge und ihre Entstehung werden wir in späteren Artikeln betrachten.

Dieses Bild ist darüber hinaus erneut ein gutes Beispiel für die Sinnhaftigkeit von Widefield-Aufnahmen, die Barnard erkannte.
Mein “Seepferdchen” oberhalb zeigt zwar mehr Details, aber erst das weite 135 mm Feld ermöglicht es, Zusammenhänge zu erfassen und daraus Rückschlüsse auf großflächige Strukturen und Vorgänge im All zu ziehen.

“Nur vergleichsweise weite Gesichtsfelder sind leistungsfähig genug, um dem Beobachter die spannendsten Bereiche des Himmels zu zeigen.
Für ihn offenbart die Milchstraße ihre wundervolle Struktur.
Der Beobachter mit stärkeren Teleskopen und dem daher notwendigerweise stark beschränkten Gesichtsfeld verliert im Wesentlichen die Wunder der Milchstraße.”

E.E. Barnard

Barnard als Entdecker

Wie im letzten Beitrag zum NGC/IC beiläufig erwähnt, war Barnard auch der Entdecker einer großen Anzahl an Deep-Sky-Objekten.
Mit über 18 zuvor unbekannten Objekten ist er auf Platz 25 der ‘erfolgreichsten Erstentdecker’ der 7840 gelisteten (7587 tatsächlichen) Objekte des umfangreichsten Deep-Sky-Katalogs, der Objekte von über 100 Entdeckern listet. Da der NGC bereits 1888 erschien (und 1887 abgeschlossen wurde), sind viele Entdeckungen Barnards erst in den Ergänzungen (Index Catalogue I und II) enthalten. Je nach Quelle variierend, handelt es sich um ca. 170 Objekte.
Nur 5 andere Astronomen steuerten mehr Einträge zum IC bei.

Die Ursache für diese Vielzahl von ihm erstmalig gefundenen und beschriebenen Objekte ist einerseits in seiner Pionierarbeit als Astrofotograf zu suchen, andererseits aber auch (und vor allem) in seiner Beobachtungsgabe, die ihresgleichen sucht.
Zeitgenossen beschrieben Barnard als den wohl besten visuellen Beobachter seiner Generation. Barnard hatte die Fähigkeit, Objekte bereits in vergleichsweise ‘kleinen’ Teleskopen zu erkennen, mit denen andere Beobachter in deutlich leistungsfähigeren Optiken Probleme hatten.

Bekannte Entdeckungen sind neben dem Jupitermond Amalthea (dem ersten Mond seit Galileo und dem letzten überhaupt, der rein visuell entdeckt wurde) beispielsweise NGC 6822 (Barnards Galaxie), NGC 1499 (California-Nebel im Perseus), NGC 281 ( = IC11; Pacman-Nebel im Sternbild Cassiopeia) oder IC1318 (γ-Cygni-Nebel oder Schmetterlingsnebel im Sternbild Schwan).

Fazit

Barnard war nicht der einzige Astrofotograf seiner Zeit und erst recht nicht der einzige oder gar der erfolgreichste Beobachter und Entdecker von Deep-Sky-Objekten.
Er war auch nicht der einzige, der sich vornahm, den Himmel zu kartografieren; andere waren dabei sogar ambitionierter.
Allerdings war seine Herangehensweise mit Portrait-Objektiven und auch später mit für die damalige Zeit recht weitwinkligen Optiken selten und ‘eigen’.

Der erste “Widefield-Astrofotograf”? Das trifft es schon eher.
In jedem Fall ist er derjenige, dessen Name nicht nur überdauert hat, sondern auch derjenige, dessen Katalog es bis heute zu einer gewissen Prominenz gebracht hat; sogar bei “kleinen Amateur-Himmelsknipsern” wie mir (und Dir?).

Warum ausgerechnet Edward Barnard in Erinnerung geblieben ist?
Evtl. liegt es daran, dass er bei weitem die meisten Publikationen erbracht hat? Evtl. an seinen Untersuchungen zu Dunkelnebeln, zu “Löchern im Sternenmeer”? Möglicherweise auch daran, dass seine ‘weitwinklige Herangehensweise’ ganz andere Erkenntnisse über kosmische Zusammenhänge erbrachte?
Vielleicht liegt es aber auch ganz einfach daran, dass er das, was er machte, liebte und diese Leidenschaft an die Öffentlichkeit trug?

Freundliches Schlusswort

Ich hoffe sehr, dass dieser Artikel für Dich beim Lesen spannend und unterhaltsam war; mindestens so spannend, wie für mich die umfangreiche Recherche.
Glücklicherweise sind fast alle wissenschaftlichen Publikationen von Edward Barnard online verfügbar. Ebenso seine Logbücher, in denen er seine Beobachtungsnächte festhielt. Dies waren meine wichtigsten Quellen bei der Erstellung des Artikels.

Seine unzähligen Aufnahmen hingegen finden sich nicht. Offenbar wurden die Glasplatten bis heute nicht gescannt und digitalisiert. Insgesamt habe ich rund 60 Aufnahmen gefunden, 50 davon im Atlas of Selected Regions of the Milky Way, allerdings als gebundene Papierversion. Papier kann ich nicht verlinken. Der Atlas findet sich analog im in der bayrischen Staatsbibliothek.

Aber all die anderen? Seine Bilder von Kometen, frühe Widefield-Aufnahmen mit der ersten Kamera, Nebel, die nicht im Atlas enthalten sind? Es war unmöglich mehr als eine Handvoll zu finden, was ich sehr bedauere.


Ich weiß, der Bericht fällt etwas aus dem Schema zur Vorstellung von Deep-Sky-Katalogen.
Aber bei der Einarbeitung in Barnards Dunkelnebel-Katalog erschien es mir immer sinnvoller, sein astronomisches und astrofotografisches Leben nicht nur in ein paar kurzen Sätzen abzuhandeln.
Die Entstehung der Astrofotografie erscheint mir ein Thema, das gerade auf dieser Website besonders passend ist.

Entstanden ist so der umfangreichste Aufsatz über Edward Emerson Barnard, den Du auf Deutsch (und auch verglichen mit dem englischen Angebot) finden wirst.

Ich hoffe also, dass Du gut unterhalten wurdest und nicht etwa enttäuscht bist, weil Du nur ein wenig über “den Barnard-Katalog” lesen wolltest.
Falls doch: Im nächsten Artikel geht es wieder (fast) nur um die reinen Kataloge.

Auch hoffe ich, dass Du viel für Dich mitnehmen kannst.
Viele Infos über die Astronomie und -fotografie vor rund 100 Jahren. Vielleicht gibt Dir das sogar ein Gefühl für Geschichte, für Zeiträume oder den Lauf der Zeit.

Denn einerseits sind 100 Jahre ein Wimpernschlag im Universum, aber auch in der Geschichte der Menschheit. Andererseits hat sich sowohl Astronomie und Astrofotografie, aber auch unsere Lebensrealität enorm weiterentwickelt und gewandelt.
Doch wenn Du an den Anfang des Artikels zurückblickst, an die Beschreibungen des jungen Edward, der frei unter dem Sternenzelt liegt und fasziniert in die Weiten des Alls blickt, so wirst Du merken:

Barnard wuchs zwar noch in einer anderen Zeit auf, aber das, was er da erlebte, steht uns heute noch genauso offen:
Der Zauber, der einen erfüllt, wenn man auf dem Rücken liegt und mit nachtsichtigen Augen nach oben blickt; die Geborgenheit, Zeitlosigkeit, die Magie und Poesie, die der Nachthimmel für uns bereithält und die den Alltag wie einen fernen Traum eines anderen Lebens verstummen lässt.

Mit folgendem Zitat aus einem gänzlich unbekannten österreichischen HipHop-Lied meiner Jugend möchte ich Dich nun (fast) entlassen.
Genieße die Nacht und werf’ mal einen Blick auf die dunklen Flecken in der Milchstraße.

“Ich spür’ die Energie in der dunklen Hälfte des Tags – spür’ die Energie, ist die Hälfte der Menschheit im Schlaf – denkt nicht an Morgen, wenn die Dunkelheit ein Ende hat – ich spür’ die Energie, wenn es Nacht wird über meiner Stadt.”



Nun ja – zuletzt möchte ich Dich noch auf die folgende Box hinweisen. Du hast ja nun gemerkt, dass in so einem unterhaltsamen Artikel unzählige Stunden Recherche stecken:

Vielleicht hast Du gemerkt, wieviel Zeit, Leidenschaft, Energie und auch Kosten ich in diese Seite stecke, die Dir helfen soll, Dein Foto des Sternenhimmels zu erstellen. Du kannst mich gerne unterstützen. Wie steht hier.
Für den Fall, dass Dir meine ganzen Artikel und Berichte wirklich etwas bedeuten, Du viele Informationen gefunden und nun das Gefühl bekommen hast, dass das alles für Dich einen echten Wert hat, so kannst Du mir tatsächlich etwas spenden.
Alles auf dieser Seite kannst Du umsonst lesen. Ich versuche nicht Dir überteuerte Youtube-“Profikurse” anzudrehen und bombardiere Dich auch nicht mit Werbung. Ich verstecke meine Erfahrung nicht hinter kostenpflichtigen Tutorials, da ich freie Wissensvermittlung schätze und die Faszination für den Sternenhimmel wecken möchte. Leider ist die Bereitschaft einfach so echtes Geld als Dankeschön für kostenlose Information zu spenden in Europa nicht besonders weit verbreitet; in den USA hingegen ist diese Art des “Tippings” relativ normal. Falls Du mir etwas zukommen lassen willst, dann darfst Du gerne auf diesen Button drücken. Wie wenig Du spenden willst, bleibt natürlich Dir überlassen. Allerdings zahle ich eine Gebühr von 35 cent je Spende.:

 




 

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